6 Monate danach: Hanau muss zum Wendepunkt im Umgang mit Rechtsextremismus werden

Vor sechs Monaten, am 19. Februar 2020, starben neun Menschen durch einen rassistischen Terroranschlag in Hanau. Aus diesem Anlass wird es am Mittwoch (19.8.) in über 30 Städten Gedenkaktivitäten geben. Die Hinterbliebenen und die „Initiative 19. Februar Hanau“ organisieren am Samstag (22.8.) eine große Demonstration in Hanau. 

„Wir sehen bisher keine politischen Konsequenzen. Wir gehen auf die Straße, weil wir verhindern wollen, dass die Akte geschlossen wird. Der Täter ist zwar tot, aber es gab ein Davor und Danach – wir fordern die lückenlose Aufklärung, die uns versprochen wurde“, sagt Newroz Duman, Mitbegründerin und Sprecherin der „Initiative 19. Februar Hanau. „Wir werden nicht zulassen, dass Hanau nur ein weiterer Punkt auf der Liste rassistischer Morde in Deutschland wird. Es ist eine Schande, dass Politik und Behörden die Hinterbliebenen in die Lage zwingen, Druck machen zu müssen, um die Aufklärung voranzutreiben.“ 

Die neuen deutschen organisationen fordern gemeinsam mit der Initiative 19. Februar Hanau:  

  • Die Entwaffnung aller polizeilich bekannten Neonazis und Gefährder*innen.
  • Die Entnazifizierung der Polizei und anderer Bundesbehörden, unabhängiger Beschwerdestellen und Kontrollinstanzen, die im Falle von rassistischer Diskriminierung aktiv werden, wie etwa bei Racial Profiling.
  • Strafrechtliche Verfolgung bei rechten Aktivitäten oder Kooperation von Behördenmitarbeiter*innen mit Rechtsextremist*innen. 
  • Ein würdevolles und lebendiges Erinnern an die Opfer der rassistischen Morde vom 19. Februar 2020. 

Çetin Gültekin, Bruder des ermordeten Gökhan Gültekin, sieht ebenfalls Politik, Staatsanwaltschaft und Polizei in der Pflicht: „Die Behörden hätten den Täter kennen können. Schon im November 2019 hat der Mörder meines Bruders der Staatsanwaltschaft eine mehrseitige Anzeige geschickt. Zwei Wochen vor der Tat hat er sogar sein rassistisches Traktat ins Internet gestellt. Hätten die Behörden rechtzeitig gehandelt, wäre mein Bruder vielleicht noch am Leben“, so Çetin Gültekin.

Hanau muss ins kollektive deutsche Gedächtnis eingehen. Ein Verharmlosen und Verdrängen, wie es in den 90er Jahren nach den rassistischen Anschlägen von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen passiert ist, darf sich nicht wiederholen. Halle, Hanau und die vielen anderen Anschlagsorte in jüngster Zeit dürfen nicht vergessen werden. Ein erster Schritt: Die Stadt Hanau hat signalisiert, dass ein Denkmal an die rassistischen Morde erinnern soll. „Das ist gut. Dabei darf es aber nicht bleiben“, sagt Newroz Duman. 

Hanau muss zum Wendepunkt im Umgang mit Rechtsextremismus werden. „Wenn rechter Terror und Rassismus weiterhin nicht ernst genommen, keine Lehren gezogen werden und politische Maßnahmen zum Schutz von Betroffenen ausbleiben, dann kommt das einem weiteren Angriff gleich.

Es wäre ein weiterer Beweis dafür, wie wenig die Würde, das Leben und die Sicherheit nicht-weißer Menschen in Deutschland zählen“, sagt Rassismusforscher und ndo-Vorstandsmitglied Ozan Zakariya Keskinkılıç. 

„Durch das jahrzehntelange staatliche Versagen beim Thema Rassismus und Rechtsextremismus stecken wir in Deutschland in einer Rassismus-Krise. Der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus muss konkrete Antworten und Lösungen bieten“, sagt Ferda Ataman, Sprecherin der neuen deutschen organisationen. 

Zu den ndo: Das postmigrantische Netzwerk "neue deutsche organisationen" ist ein Zusammenschluss von 120 Initiativen aus ganz Deutschland, die sich für Vielfalt und gegen Rassismus engagieren. Die Geschäftsstelle wird gefördert durch die Stiftung Mercator.

Pressekontakt: medien  neue-deutsche-organisationen.de

Die Pressemitteilung als PDF-Format finden Sie hier.