Erstellt von Ayesha Khan |

Klarnamenpflicht im Netz schadet dem Diskurs

Das Internet galt schon immer als ein Ort, an dem man anonym & bedenkenlos (fast) alles sagen konnte und durfte. Chaträume, Foren, Blogs und Kommentarspalten von Online-Zeitungen: Ob die User ihre echten Namen angeben, interessierte die wenigsten. Verifizieren muss man sich eh über eine E-Mail und auch da kann man sich als Max Mustermann oder Sabine Müller anmelden - überprüft wird das nicht. Anonymität im Netz ist ein kostbares Gut. 

Um diesem Treiben ein Ende zu setzen, machen sich viele Politiker*innen, und ganz besonders Wolfgang Schäuble (CDU), für die sogenannte „Klarnamenpflicht“ (oder Klarnamenzwang) im Internet stark. Sie hoffen so, Hass und Hetze im Netz minimieren zu können. Ob es tatsächlich hilft, kann noch keine*r sagen. Klar ist, dass laut einer großen Studie von Amnesty International alle 30 Sekunden ein misogyner Tweet abgesetzt wird. Doch ob die Klarnamenpflicht Menschen davon abhält, marginalisierte Menschen online weniger zu diskriminieren, ist fraglich. 

Die Netzgemeinde ist solche Kurzschlusshandlungen von der Politik allerdings schon gewohnt. Als im Oktober 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, der vom damaligen Bundesminister der Justiz und Verbraucherschutz Heiko Maas initiiert wurde, in Kraft trat, liefen (rechte) Trolle Sturm: Zensur- und Denunziationstool nannten sie es und behaupteten, es würde die Meinungsfreiheit einschränken. Heute nutzen sie es für ihre Hasskampagnen gegen linke Aktivist*innen, Journalist*innen und Politiker*innen. Sie verabreden sich in Foren, Chatgruppen und Gameservern, um Meldeaktionen gegen marginalisierte Menschen zu planen. So wurde aus einem Tool, das gegen Hassrede funktionieren sollte, ein Instrument von rechten Trollen, Menschen mundtot zu machen, die die Dominanzgesellschaft kritisieren.

Schon längst kriegen z. B. Frauen of Color, Muslim*innen, trans Frauen, jüdische Menschen und Menschen mit Behinderungen Post von Hans Gerhard Müller aus Paderborn. Die Hemmschwelle gegen Menschen zu hetzen ist niedrig. Denn: zu befürchten haben sie eh nichts. 

Eine Studie der Universität Zürich hat zudem ergeben, dass Hasskommentare im Netz immer häufiger unter Klarnamen gepostet werden. Es spricht nämlich viel dafür, den eigenen Hasskommentar, den man selbst als „freie Meinungsäußerung“ betrachtet, nicht anonym zu posten. Zum einen wähnen sie sich im Recht, zum anderen gibt auch genug Beifall von anderen Menschen. Da wird den Hasspostern Mut und Courage attestiert. Dem Teufelskreis ist schwer zu entkommen.

Menschen, die im realen Leben wenig Aufmerksamkeit und Bühne für ihre Perspektiven und Meinungen bekommen, nutzen das Internet, um mehr Reichweite für die Themen, die in auflagestarken Zeitungen und den Feuilletons wenig bis gar keinen Platz finden. Dabei sind dies oft Themen, die gerade besonders viel Fokus verdienen: Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Ableismus und/oder LGBTQI-Feindlichkeit. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite tummelt sich in Gamerforen, auf Discord Channels und anderen Plattformen, um gegen alles und jeden zu hetzen, und dabei die Grenzen und Schranken der Meinungsfreiheit zu überstrapazieren. Dabei beschränken sie sich nicht nur auf rassistische, sexistische oder antisemitische Beschimpfungen: Privatfotos, Kontaktdaten, Adressen – alles Private, was die Trolle über ihr Hassobjekt finden, wird im Netz veröffentlicht. Ziel ist es, Menschen einzuschüchtern und sie mundtot zu machen. Dass sich einige dieser Trolle dann wirklich auf den Weg machen, um diese Menschen im realen Leben zu behelligen (zum Beispiel Rainer Winkler), ist wie ein Bonus für einen gelungenen Shitstorm. Aber ein Großteil hetzt und beleidigt lieber anonym vom heimischen Rechner aus.

Außerdem wird eine forcierte Klarnamenpflicht Marginalisierten nichts bringen. Denn wer von Rassismus, Sexismus oder Antisemitismus betroffen ist, wird sich zweimal überlegen, ob er oder sie unter Klarnamen auf -ismen in der Gesellschaft aufmerksam macht, und sich somit nicht nur online, sondern auch offline zur Zielscheibe wütender Trolle macht. Betroffene gehen, aus zahlreichen Gründen, viel zu selten polizeilich gegen den Hass vor, den sie online erfahren. Dafür fehlen ihnen oft die Ressourcen, mental und finanziell. Außerdem macht es sie wieder zur Zielscheibe.