Wer macht eigentlich die Arbeit? - Zeit für einen intersektionalen Blick!

130 Jahren erster Mai und die Politik denkt beim klassischen arbeitenden Menschen immernoch an den weißen Mann. Was fehlt, ist eine zeitgemäße intersektionale Perspektive auf Arbeiter*innen!

Übermorgen gehen wieder tausende Menschen auf die Straße. Verschiedene Akteur*innen stellen im Interesse von Arbeiter*innen Forderungen an die Politik. Der  Ursprung der Ersten Mai Proteste liegt in der Forderung nach einem 8-Stunden Tag. Heute wird ein solidarischer(er) Sozialstaat, demokratische Teilhabe durch Einbindung von Tarifverträgen und die Aufwertung sozialer Berufe gefordert.
Dabei ist das Verständnis der Politik von Arbeiter*innen verkürzt. Oft werden nur weiße Arbeiter*innen in den Blick genommen, nicht aber die spezifischen, komplexen Umstände von BPoC Arbeiter*innen. In einer globalisierten, von mehreren zeitgleichen Krisen – Pandemie, Kriege, Erstarken der extremen Rechten in Europa – geprägten Gesellschaft ist eine solche Herangehensweise nicht zeitgemäß. Es lässt zu, dass Menschen, die dieser Vorstellung nicht entsprechen, bei dringend notwendigen sozialpolitischen Maßnahmen nicht mitgedacht werden.

 

BPoC Arbeiter*innen sind unterbezahlt, überarbeitet und werden im Niedriglohnsektor ausgebeutet

 

Strukturelle Unterdrückungsmechanismen, wie der Ausschluss von politischer und gesellschaftlicher Teilhabe, Rassismus und Klassismus drängen BPoCs an den Rand der Gesellschaft. Häufig werden sie wegen ihrer sozioökonomischen Umstände, ihrer Herkunft, Sexualität, Geschlecht, Behinderung, rechtlichen Status und anderen Diskriminierungskategorien als Arbeiter*innen unterbezahlt, überarbeitet und ausgebeutet. Besonders häufig befinden sich Women of Color in prekären Arbeitssituationen.

Ein Tarifvertrag nutzt beispielsweise einer WoC mit Fluchterfahrung nichts, wenn sie gar nicht erst einen tariflich geregelten Beruf ausüben kann, ihr Bildungsabschluss in diesem Land nicht anerkannt wird oder der Zugang zu Bildung erschwert wird. Menschen mit Fluchterfahrung sind trotz ihrer Abschlüsse und Berufserfahrungen oftmals gezwungen diese im deutschen Bildungssystem “nachzuholen”. Vorausgesetzt man kann es sich den erneuten Bildungsweg leisten. Oft ist das nicht der Fall. Um über die Runden zu kommen, muss prekären Tätigkeiten im Niedriglohnsektor nachgegangen werden, die, wenn überhaupt, nur knapp zum Leben reichen. Der erleichterte Zugang für ukrainische Geflüchtete zu Bildung und Berufen zeigt, dass ein anderer Umgang möglich ist.  Gleichzeitig offenbart sie aber eine Doppelmoral, die ein Klassensystem von “guten” und “schlechten” Geflüchteten entstehen lässt.
 

Intersektionale Betrachtung sozialer Ungleichheiten von Arbeiter*innen


Die Pandemie hat soziale Ungleichheiten massiv verschärft. Die Lage zur Gleichstellung zwischen Männern und Frauen hat sich z.B. nachweislich verschlechtert: viele Frauen sind in ‘traditionelle’ Rollen geschlüpft um mit unbezahlter Care-Arbeit die Versäumnisse der Pandemie-Politik aufzufangen. 2021 betrug der Gender Pay Gap 18%. Wenn die Situation sich für Frauen allgemein verschlechtert hat, wie sieht es dann erst für Women of Color und für WoC mit Fluchterfahrung, aus? Schon 2008 zeigte eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, dass Frauen mit Migrationsgeschichte 20% weniger verdienen als Frauen ohne Migrationsgeschichte. Eine neue Studie des Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zeigt auf, dass gegenüber weißen Deutschen bei Deutschen mit Migrationsgeschichte eine Lohnlücke von 13.1 %, bei ausländischen 14.8 % besteht. Auch wenn sie nicht zwischen Frauen und Männern unterscheidet, lässt sich annehmen, dass die Lohnlücke für Frauen noch größer ist. Dabei  muss auch gefragt werden: Wie sieht es erst aus für queere Menschen, Menschen mit Behinderung, Menschen, die alleinerziehend sind und für Menschen die viele oder alle Merkmale in sich vereinen? Auch für ihre Arbeitsumstände und Lohnentwicklung müssen sich Politik und die breite Gesellschaft interessieren. 

 

Intersektionalität ist der Normalzustand. Die Politik muss sich darauf einstellen.

 

Parteien in Deutschland dürfen nicht vergessen, dass Arbeiter*innen keine monolithische Kategorie sind. Ohne einen intersektionalen Blick, der sich überlappende Diskiminierungskategorien berücksichtigt, können gesellschaftliche Missstände nicht gelöst werden. Wenn Parteien, die sich für Arbeiter*innen einsetzen, wirksam für die Interessen aller Arbeiter*innen einstehen wollen, müssen sie begreifen, wie essentiell eine intersektionale Betrachtung von Arbeiter*innen und ihren Anliegen ist.


Soziale und politische Veränderungen – sei es der Erste Mai, die Frauenrechtsbewegungen, die Stonewall-Proteste, die Klimagerechtigkeitsbewegung – haben ihren Ursprung in sozialen Bewegungen, die von marginalisierten Bevölkerungsgruppen angestoßen wurden. Die Politik, wie auch sog. Arbeiter*innen-Parteien, würden gut daran tun, das zu erkennen. Um der Verwobenheit unserer gesellschaftlichen Realitäten Rechnung zu tragen, bedarf es stets intersektionaler Denk- und Handlungsweisen. Besonders wichtig ist es dabei, auf die Kooperation mit intersektional arbeitenden zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zu setzen. Nur so kann die Politik ihre Perspektive weiten und gezielte politische Maßnahmen  ergreifen, die den am stärksten Benachteiligten zugute kommen.

 

Ein Text von Sarah Gehrig, Mitarbeiterin bei den neuen deutschen organisationen.