Anti-asiatischer Rassismus ist nicht neu, die Diskussion darum schon. Im Gespräch mit korientation-Geschäftsführerin Jee-Un Kim

In den letzten 2 Jahren eskalierte auch der anti-asiatische Rassismus, in den Koalitionsvertrag hat es das Thema trotzdem nicht geschafft. Wir reden mit Jee-Un Kim, Gründungsmitglied und Geschäftsführerin von korientation e.V. darüber, in welchen Traditionen anti-asiatischer Rassismus in Deutschland steht und wie sich der öffentliche Diskurs entwickelt.

Seit Beginn der Corona-Pandemie vor 2 Jahren gibt es deutlich mehr rassistische Übergriffe gegen Menschen, denen eine asiatische Herkunft zugeschrieben wird. Gleichzeitig gibt es eine lange historische Kontinuität was anti-asiatischen Rassismus angeht. Wie neu ist dieser Rassismus eigentlich?
 
Mit Beginn der Pandemie wurden wir bei korientation überhäuft von Anfragen sowohl von Medien als auch von rassismuskritischen Einrichtungen, die auf der Suche nach grundlegenden Informationen zu anti-asiatischem Rassismus waren. Das zeigt deutlich, wie wenig Wissen über anti-asiatischen Rassismus und über die Erfahrungen und Perspektiven von asiatisch gelesenen Menschen bzw. Asiatischen Deutschen in der deutschen Gesellschaft vorhanden ist. Gerade im ersten Jahr gab es einen starken Anstieg an problematischen Medienberichten über COVID-19. Gleichzeitig häuften sich die Übergriffe auf asiatisch gelesene Menschen. Ein Bewusstsein dafür, dass diskriminierende und rassistische Stereotypen, Bilder und Narrative aufgegriffen wurden, die in einer kolonialen und orientalistischen Tradition stehen, war weder in den Redaktionen noch beim Presserat ausgeprägt. 
 
Beispiele sind Variationen der „Gelben Gefahr“ sowie rassistische und kulturalisierende Vorstellungen von (Ess-)Verhalten, die insbesondere ost- und südostasiatisch gelesenen Menschen zugeschrieben wurden. Historische Kontinuitäten diesbezüglich lassen sich im deutschen Kontext mindestens auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurückführen, als mit der kolonialen Expansionspolitik Deutschlands in China, Samoa und Neu-Guinea anti-asiatischer Rassismus Teil der deutschen Staatsideologie wurde. Erste europäische rassistische Narrative über Asien als imaginierter Kontinent, asiatische Körper und Kulturen können allerdings bereits im 13. Jahrhundert gefunden werden, wie korientation-Mitglied Kimiko Suda beispielsweise letztes Jahr in einem Interview argumentierte. 
 
Die asiatisch-deutsche Community ist sehr divers. Inwiefern deckt das Konzept „anti-asiatischer Rassismus“ diese komplexen Realitäten ab?
  

Diese Frage ist wichtig und beschäftigt uns bei korientation immer wieder, denn ganz offensichtlich hat anti-asiatischer Rassismus in unterschiedlichen historischen und lokalen Kontexten ganz unterschiedliche spezifische Ausprägungen. Während in Großbritannien aufgrund der eigenen Kolonialgeschichte und Migrationsbewegungen unter „asiatisch“ vielfach südasiatische Menschen imaginiert werden, werden in Deutschland vor allen Dingen Menschen und Communities mit ost- und südostasiatischen Bezügen assoziiert, obwohl die asiatische/Asiatisch-Deutsche Landschaft sehr divers und auch in sich heterogen ist. Dies hat auch innerhalb von korientation zu Diskussionen und Kritik geführt, da durch solche Begrifflichkeiten jeweils unterschiedliche communities sichtbar oder unsichtbar gemacht werden. Gleichzeitig ist die Frage komplex, da anti-asiatischer Rassismus eben nicht losgelöst von der spezifischen deutschen Geschichte und aktuellen lokalen Entwicklungen betrachtet werden kann. Hinzu kommt, dass die breitere Verwendung des Begriffs „anti-asiatischer Rassismus“ sich erst im Laufe der Pandemie durchgesetzt hat und als Konzept weiterhin umkämpft ist.
 
Derzeit verfolgen wir bei korientation den Ansatz, uns dem Begriff als eine Art umbrella term zu nähern, der unterschiedliche Erfahrungen von asiatischen bzw. als asiatisch gelesene Menschen bündelt, die zudem häufig von einer Vielzahl von Rassismen betroffen sein können, die sich überlagern oder mit anderen Diskriminierungsformen überschneiden. Die Funktion dieses Begriffs ist für uns, einerseits auf die rassistische Gewalt aufmerksam zu machen und benennen zu können, andererseits Solidarität zu zeigen. Zudem gibt es gegenwärtig keine alternativen Begriffe zu „anti-asiatischem Rassismus“, die eben diese spezifischen und intersektional unterschiedlichen Rassismuserfahrungen von asiatischen Menschen umfassen, benennen und damit sichtbar machen können. Dabei ist die Diskussion innerhalb von korientation im Fluss und ist und bleibt offen.
 
Die neue Ampel-Koalition regiert jetzt seit 3 Monaten. Wir haben uns den Koalitionsvertrag angeschaut und da taucht anti-asiatischer Rassismus nicht gesondert auf - obwohl dieser die letzten 2 Jahre so massiv zugenommen hat. Braucht es eine gesonderte Strategie gegen anti-asiatischen Rassismus oder reicht eine allgemeine Antirassismusstrategie?
  

Wir haben mit großer Enttäuschung registriert, dass anti-asiatischer Rassismus nicht gesondert neben anderen Formen von Rassismus und Diskriminierung im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aufgeführt wurde, nachdem dieser wenigstens im Abschlussbericht des Kabinettausschusses gegen Rechtsextremismus und Rassismus im Mai 2020 explizit erwähnt wurde. Hieran wird deutlich, dass die Bekämpfung bestimmter Rassismusformen politischen und medialen Konjunkturen unterliegen. Um die unterschiedlichen Formen von Rassismus auch in ihrer strukturellen Dimension aufzuarbeiten, ist es aber erforderlich, dass sie jeweils überhaupt anerkannt werden und ihre spezifischen Ausprägungen und Wirkweisen verstanden werden. 
 
Bei korientation arbeiten wir daher mit unseren sehr beschränkten Kapazitäten und Ressourcen auf der politischen Ebene an einer offiziellen Anerkennung der Existenz von anti-asiatischem Rassismus und fordern eine Sensibilisierung in allen relevanten Bereichen wie Bildung, Kultur, Medien, Verwaltung, Polizei etc. 
  
Was wünscht ihr euch von Gesellschaft und Politik?
 

Anti-asiatischer Rassismus ist nicht neu, allerdings wurden die historischen Kontinuitäten sowie strukturellen Zusammenhängen in Deutschland bislang wenig beforscht, geschweige denn öffentlich-medial diskutiert. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass hierzu mehr Wissen aus Asiatisch-Deutscher Perspektive produziert, aber auch aufbereitet und zugänglich gemacht wird, um die konkreten Ausprägungen von anti-asiatischem Rassismus im deutschen Kontext zu verstehen. Im „offiziellen“ Wissenskanon sind diese Themen offensichtlich nicht verankert. Unsere Projekte und Beiträge bei korientation sehen wir als Teil der kollektiven Bemühungen, im öffentlichen Diskurs die rassistischen Zuschreibungen durch eigene Geschichten, Bilder, Forschung usw. zu überschreiben. Das Interview von Kimiko Suda, in dem sie die Wünsche von korientation auflistet, ist da weiterhin aktuell.
 
Wir wünschen uns von der Politik und Gesellschaft, dass anti-asiatischer Rassismus als spezifische Form von Rassismus anerkannt, benannt und bekämpft wird. Ein Anfang wäre tatsächlich die Aufnahme von anti-asiatischem Rassismus in die entsprechenden Aktions-, Koalitions- und sonstigen Pläne gegen Diskriminierung und Rassismus. Wir wünschen uns von der Politik, dass die unterschiedlichen Rassismen nicht nur in Krisensituation anlassbezogen und isoliert voneinander betrachtet werden, sondern dass Maßnahmen ergriffen werden, um sie auch in ihrer strukturellen Dimension jeweils und in ihrer Verschränkung aufzuarbeiten.
 
Eine positive Entwicklung in den letzten Jahren ist, dass sich die Asiatisch-Deutsche Community-Landschaft in unserer Wahrnehmung stärker organisiert und gleichzeitig sehr ausgeweitet hat. Die Stimmen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen werden vielfältiger. Allein die Anzahl der Podcasts aus ganz unterschiedlich Asiatisch-Deutschen, aber auch Cross-Community-Perspektiven ist explodiert und ermöglicht einen Zugang und Austausch über vielfältige Themen, die vormals nicht möglich waren. Diese kritischen post/migrantischen Kultur- und Wissensproduktionen setzen sich dabei auch mit der deutschen Kolonialgeschichte, (historischen) asiatischen Präsenzen, asiatischen Migrationsgeschichten in Deutschland auseinander.

Wir stehen ja noch ganz am Anfang des Jahres. Was sind eure Pläne, habt ihr Projekte auf die ihr euch 2022 besonders freut?
 

Wir führen unser Projekt MEGA Media and Empowerment for German Asians im Demokratie leben!-Programm im dritten Jahr weiter und sind gerade konkret dabei, in die Umsetzung unserer Workshops, Seminare und Veranstaltungen reinzugehen, die wir für dieses Jahr geplant haben. Wir freuen uns außerdem sehr, dass wir mit unserer neuen Kollegin Fallon Cabral unsere Inhalte und Veranstaltungen weiterentwickeln können, zum Beispiel unsere diesjährige Talkreihe „Out of Shape – Re/Owning Asian German Bodies“, die wir demnächst ankündigen werden! 


Danke für das Gespräch, liebe Jee-Un! 

 

Jee-Un Kim ist Gründungsmitglied von korientation und Geschäftsführerin des Vereins sowie des Projekts MEGA – Media and Empowerment for German Asians. Sie hat Jura und Kulturmanagement studiert und war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Koreanistik der Universität Tübingen. Derzeit interessiert sie sich insbesondere für die Themen machtkritische Organisationsentwicklung bei Selbstorganisationen, Strategien der kulturellen und medialen Selbstrepräsentation, Aufbau von/Zugang zu post-/migrantischen Wissensbeständen.