Erstellt von Ferda Ataman |

"Höchste Zeit, dass wir uns treffen"

Rede von ndo-Sprecherin Ferda Ataman beim Bundeskongress der neuen deutschen organisationen im März 2015.

 

2015 treffen sich zum ersten Mal engagierte Leute aus ganz Deutschland, die sich angesprochen fühlen, wenn über die Einwanderungsgesellschaft Deutschland gesprochen wird. Beim ersten ndo-Bundeskongress erklärt Initiatorin Ferda Ataman: "Die Konferenz ist das Ergebnis der These: Dass es immer mehr Initiativen gibt, die klar stellen wollen, dass zum Dazugehören mehr gehört, als deutsche Vorfahren zu haben."

„Auch wir sind das Volk“

Rede von Ferda Ataman - 6. Februar 2015

 
zur PDF-Version

 
Sehr geehrte Frau Staatsministerin,
Sehr geehrter Herr Krüger,
Sehr geehrte Frau Dr. Farwick,
liebe Mitaktive, Angereiste und Neue Deutsche,
herzlich willkommen!!!

 

Oder um es mit den Worten unseres Bundespräsidenten zu sagen: Was für ein schöner
Freitag! Zum aller-ersten Mal treffen sich heute engagierte Leute aus ganz
Deutschland, die sich angesprochen fühlen, wenn über das „Einwanderungsland
Deutschland“ gesprochen wird oder über die Zugehörigkeit des Islam oder über den
Platz von Minderheiten in unserer Gesellschaft. Nicht wenige fühlen sich in solchen Debatten angesprochen, ohne selbst gläubig oder eingewandert zu sein oder einer
Minderheit anzugehören.

 

Diese Konferenz ist das Ergebnis einer These. Sie lautet: Es gibt immer mehr
Initiativen, die in diesen Debatten mitmischen wollen und klar stellen, dass Deutschsein
inzwischen mehr ist, als deutsche Vorfahren zu haben.
Was diese neuen Initiativen ausmacht: Sie setzen sich für Chancengleichheit und
gegen Ausgrenzung ein, für Anerkennung und gegen Rassismus. Damit knüpfen sie
zwar an die jahrzehntelange Arbeit von Migrantenselbstorganisationen oder
Ausländer- und Integrationsbeiräten an.
 
Doch sie unterscheiden sich zwei Punkten:
1. Sie geben sich ihren Namen selbst und machen schon darin ihren Anspruch auf
Mitsprache deutlich. Sie nennen sich „Buntesrepublik“, „Zahnräder“, „Kein Abseits“,
Schülerpaten, „Jung, muslimisch Aktiv“ oder „Renk“, das türkische Wort für Farbe.
Der Name ist Programm und zeigt das Selbstbewusstsein als Mitglied der Gesellschaft.
2. Die Neuen Deutschen Organisationen definieren sich nicht mehr ethnisch: wer
die Anliegen teilt, ist herzlich willkommen und man engagiert sich zusammen, ganz
egal, wie lange oder kurz die Vorfahren auf dem Gebiet der Bundesrepublik leben.
Viele dieser Organisationen sind entstanden nach dem Sarrazin-Schock, der
antimuslimische, antitürkische, antiarabische und antipluralistische Ressentiments erst
so richtig salonfähig gemacht hat.

 

Den Schock löste bei den meisten wohl gemerkt nicht das Buch selbst aus, sondern die
Tatsache, dass die kruden Thesen monatelang TOP-THEMA waren und es sich
insgesamt 1,5 Millionen verkaufte. Ein rassistischer Bestseller in Deutschland – das
hatten wir zuletzt in einer anderen, sehr dunklen Epoche dieses Landes. Es ist also
höchste Zeit, dass wir uns alle treffen.

 

In den kommenden zwei Tagen wollen wir uns kennenlernen, vernetzen und mit den
erfahreneren Selbstorganisationen austauschen. Wir planen diese Veranstaltung
schon seit über einem Jahr. Dass der Zeitpunkt nun so ins Schwarze trifft, hätten wir
nicht gedacht.

 

Ich persönlich habe die düsteren Bilder aus Dresden immer noch nicht ganz
verarbeitet: Eine Horde von Männern, die Deutschlandfahnen schwenken und im Chor
„Wir sind das Volk“ brüllen. Die Betonung auf WIR macht den zweiten Teil des Satzes
überflüssig, nämlich: Wir sind das Volk, IHR nicht. 

Es gibt viele Gründe, sich daran zu stören. Die DDR-Oppositionellen bei den
Montagsdemonstrationen von 1989 erleben gerade, wie ein zentrales Element der
deutschen Einheitsgeschichte missbraucht wird.

 

Und für Menschen wie mich ist der Satz ein Schlag ins Gesicht, besonders dann, wenn
Journalisten nach den Dresdener Demonstrationen Politiker fragen, ob sie nicht auf
die „Ängste“ und Sorgen der Bürger eingehen müssen.

 

Ein Dialog mit wütenden Bürgern ist bestimmt in vielen Situationen sinnvoll. Zum
Beispiel, wenn sie die Europäische Union ablehnen oder deutsche Finanzpolitik. Aber
eine Dialogbereitschaft zu signalisieren, wenn ganze Bevölkerungsgruppen abgelehnt
werden, ist mehr als problematisch.

 

Was wir brauchen, sind klare Ansagen, wie Sie von einigen Politikern ja auch kommen.
Zum Beispiel auf die Gretchen-Frage: Gehört der Islam zu Deutschland? Hier steht es
jedem frei, ungeachtet der Realität im Einwanderungsland, seine Meinung kund zu
tun. Doch fest steht: Die Religionsfreiheit gehört zu Deutschland. Und damit das Recht
der Muslime, ihren Glauben auszuleben. Es ist fest verankert im Grundgesetz und nicht
verhandelbar. Das sollte kommuniziert werden.

 

Und noch ein Wort zu den „Ängsten“ in der Bevölkerung, die ernst genommen werden
sollen. Der Konfliktforscher und Sozialpsychologe Andreas Zick von der Universität
Bielefeld wird nicht müde zu betonen, dass es sich bei den Äußerungen von Pegida,
Legida, Mügida, Kögida und dem rechtspopulistischen Flügeln er AFD nicht um
Ängste handelt, sondern um Ressentiments. Deshalb sollte man sie also tatsächlich
dringend ernst nehmen. Aber nicht, in dem man die Standpunkte diskutiert, sondern in
dem man politische Bildung vorantreibt, aufklärt und Menschen stärkt, die dies tun.
Und es gibt viel zu tun: Einerseits befürwortet rund die Hälfte der Bevölkerung eine
pluralistische und multiethnische Gesellschaft, 36 Prozent fordern sogar eine stärkere
Willkommenskultur in Deutschland. Andererseits sind jedoch knapp 40 Prozent der
Bevölkerung unentschieden oder stimmen zu, dass die Bundesrepublik "durch die
vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet" sei.

 

Wir wollen nun heute und morgen die gemeinsame Zeit nutzen, um den Blick nach
vorne zu richten. „Deutschland neu denken“ – so heißt diese Veranstaltung, und das
bitte ich euch und Sie zu tun. Wo gibt es Handlungsbedarf? Wie sieht dieser aus? Was
erwarten wir von der Politik?

 

Und wie können wir deutlich machen: „Auch wir sind das Volk.“ Und auch wir haben
„Ängste“, zum Beispiel vor einer weiteren Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die
Deutschland neu denken wollen und diejenigen, die mit der Veränderung nicht klar
kommen. 

Mit dieser Veranstaltung wollen wir nicht nur Deutschland neu denken, sondern auch
neu zeigen: Wir wollen die neuen deutschen Initiativen sichtbar machen und der
Gesellschaft als Ansprechpartner vorstellen. Deswegen soll es im Anschluss eine
Handreichung geben, in der alle, die wir finden konnten oder die uns gefunden haben,
kurz vorgestellt werden.

 

Wir sind euch sehr dankbar, wenn ihr uns dabei unterstützt. Jetzt bleibt mir noch
verschiedenen Menschen zu danken: Als ich Thomas Krüger vor einem Jahr von der
Idee erzählt habe, war er sofort dabei! Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle an die
Bundeszentrale für politische Bildung, die diese Veranstaltung durch ihre finanzielle
Unterstützung möglich gemacht hat.

 

Das gleiche gilt für die Stiftung Mercator, die uns ebenfalls dabei unterstützt – und
das sogar, obwohl der Bundeskongress nicht originär zu ihren Förderschwerpunkten
passt, die primär auf Bildung liegen. Aber die Mitarbeiterinnen waren so überzeugt
von der Idee, dass sie das gern mittragen wollten. Herzlichen Dank. Und wir danken
Aydan Özoguz ganz herzlich, die wir für eine Rede anfragen wollten und die so Feuer
und Flamme von der Idee war, dass Sie uns ebenfalls ihre Unterstützung zugesagt
hat.

 

Nur dadurch war es uns möglich, ehrenamtliche Initiativen aus ganz Deutschland
ausfindig zu machen und nach Berlin einzuladen. Diese aufwendige Arbeit und die
großartige Organisation der gesamten Tagung haben wir vor allem zwei Personen zu
verdanken: Der Projektleiterin Breschkai Ferhad, die aus einer reinen Idee einen
einmaligen Kongress hat werden lassen.

 

Und die wunderbare Sarah Rosenthal, die Breschkai Ferhad und die Neuen deutschen
Medienmacher bei der Organisation tatkräftig unterstützt hat. Ein besonderer Dank
geht auch an Konstantina Vassiliou-Enz, die Geschäftsführerin der Neuen deutschen
Medienmacher. Ohne sie läuft gar nichts.

 

Sie hat dafür gesorgt, dass wir inzwischen nicht mehr nur eine Initiative von Willigen
sind, sondern ein ordentlicher neuer deutscher Verein, der etwas tut, wie zum Beispiel
Nachwuchs fördern oder die Expertendatenbank „Vielfaltfinder“ ausbauen.
Mein letzter Dank geht an Sie und euch! Vielen Dank, dass ihr gekommen seid. Die
Nachfrage nach dem 1. Bundeskongress der Neuen deutschen Organisationen war
überwältigend, viel größer, als wir erwartet hätten. Es haben sich über 80 Initiativen
aus der ganzen Republik angemeldet. Es ist also nicht übertrieben wenn ich sage,
„auch wir sind das Volk“.

 

Ich wünsche viel Spaß beim Kennenlernen und übergebe das Wort an Aydan – vielen
Dank, dass du gekommen bist!