Erstellt von Ferda Ataman |

Integrationsgipfel - Input bei Pressekonferenz

Beim Integrationsgipfel 2018 lautete das Thema Heimat, Werte und Zusammenhalt. Als ndo waren wir eingeladen, einen kurzen Input im Plenum und bei der anschließenden Pressekonferenz zu halten. Hier zum Nachlesen die Rede, die Ferda Ataman vor laufenden Kameras gehalten hat.

Integrationsgipfel 

Ferda Atamans Input zur Pressekonferenz des Integrationsgipfels am 13. Juni 2018


Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Ferda Ataman, ich bin Sprecherin der „neuen deutschen organisationen“.
Wir sind ein bundesweites Netzwerk von rund 100 Initiativen. Wir engagieren uns für ein
weltoffenes Deutschland, für ein gerechtes Bildungssystem und gegen Rassismus.
Wir sind die Bindestrich-Deutschen, die mit dem Migrationsextra in der Statistik. Unsere
Eltern kamen als Arbeitsmigranten oder Flüchtlinge, manche kamen aber auch schon vor X
Generationen, wie zum Beispiel bei vielen Sinti und Roma oder Afrodeutschen.
Wir nennen uns ganz bewusst „neue deutsche organisationen“, weil wir von hier sind.
Wir haben beim Gipfel heute über die Themen Heimat, Werte und Zusammenhalt
gesprochen. Dazu würde ich Ihnen gern kurz ein paar Anmerkungen machen:

1.
Wir reden zurzeit viel über Migration und Integration und meinen damit immer nur eine
kleine Gruppe von Menschen, die in den letzten Jahren als Flüchtlinge kamen.
Doch das Thema Migration betrifft sehr, sehr viele Menschen: Jedes dritte Kind lebt in einer
Einwandererfamilie – und das ist noch konservativ gezählt.
Unser Land ist – und war es schon immer – von Migration geprägt. Die deutsche
Gesellschaft ist eine Einwanderungsgesellschaft. Deswegen begegnet einem die Vielfalt
überall, sogar in der Schlange beim Bäcker. Für alle, die es noch einmal zum Mitschreiben
brauchen: Man kann neuzugewanderte Flüchtlinge nicht am Aussehen erkennen. Genauso wenig, wie
Deutsche. Eine Einteilung in Migranten und weiße Deutsche funktioniert nicht mehr.
Worauf ich hinaus will: Wenn jetzt vor „Überfremdungsängsten“ in der deutschen
Bevölkerung gewarnt wird, dann grenzt das sehr viele Menschen im Land aus, die
Deutschland als ihre Heimat verstehen.
Was wir deswegen brauchen ist ein klares Bekenntnis dazu, dass Vielfalt eine Tatsache ist
– und vor allem: nicht politisch verhandelbar. Das Bekenntnis könnte im Grundgesetz stehen, in anderen Gesetzen, egal wo. Aber wir
brauchen es schwarz auf weiß.

2.
Die Werte-Debatte, wie wir sie derzeit führen, bereitet uns gerade große Bauchschmerzen.
Denn wenn gesagt wird, dass Flüchtlinge Werte-Kurse besuchen müssen – dann unterstellt
das, Migranten hätten per se nicht die richtigen Werte. Oder es wird darauf gepocht, dass
Muslime sich an die Verfassung halten sollen – als würde die große Mehrheit das nicht
längst und gerne tun. Oder es wird verlangt, dass Migranten die deutsche Sprache lernen,
obwohl die meisten längst Kommentare in Zeitungen schreiben könnten.
Fürs Protokoll: Einwanderer lernen Deutsch, halten sich an die Gesetze und brauchen nicht
pauschal Nachhilfe in Wertekunde. Für einzelne mag das gelten. Aber so zu tun, als hinge
die Zukunft unseres Landes an diesen Themen, ist Quatsch.
Nicht nur die Werte-Debatte, auch das „exklusive Wir“ in der Sprache macht uns Sorge:
Wenn Politikerinnen und Politiker heute von Heimat sprechen, wenn sie „unser Land“,
„unsere Werte“ und „unsere Kultur“ sagen, tun sie das leider oft in einem Rahmen, der UNS
ausgrenzt.

Wir erleben gerade eine massive Diskursverschiebung, die konkrete Folgen für Migranten
und deren Nachkommen hat.

    •    Frauen berichten davon, dass ihnen das Kopftuch abgerissen wird,
    •    Männer davon, dass sie noch öfter als früher an Hauptbahnhöfen ohne Anlass kontrolliert werden.
    •    Unsere Postfächer quellen über vor hasserfüllten Beschimpfungen,
    •    unsere Bürotüren oder Gebetshäuser werden beschmiert,
    •    einige von uns erhalten Morddrohungen.

Kurz: Wir fühlen uns nicht mehr sicher in unserem Land.
Wenn die Politik die Ängste und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen will,
dann soll sie das bitte tun. Von allen Bürgern. Die „verständnisvollen Debatten“ darüber, ob
sich Deutsche inzwischen „fremd im eigenen Land“ fühlen, gießen Öl in dieses Feuer. Eine
Heimatpolitik als Antwort auf Überfremdungsängste wäre fatal. Sollte es so kommen, wird
das unser Land weiter spalten.

Denn in diesem Kontext kann Heimat nur bedeuten: Deutschland als Heimat der Menschen,
die zuerst hier waren - und also auch bestimmte Vorrechte haben - dass nur Deutsch wäre,
wer von Deutschen abstammt - Das hatten wir eigentlich schon überwunden.

3.
Die Diskussion um Heimat ist auch eine Chance. Was wir jetzt brauchen, sind
selbstbewusste Politikerinnen und Politiker, die im aktuellen Diskurs klarstellen:

    •    dass Deutschland die Heimat der Vielen ist. Nicht der Völkischen.
    •    dass wir, die Migranten und deren Nachkommen, dazugehören.
    •    dass das auch unsere Heimat ist.
Die Heimatdebatte bietet die Chance, an einem positiven Selbstbild zu arbeiten:

    •    Zum Beispiel Deutschland als Heimat der Erinnerungskultur zu sehen. Weil wir uns wie kein anderes Land Stark machen gegen Antisemitismus und andere Formen der Menschenverachtung.
    •    Deutschland als Heimat der Weltoffenheit. Weil wir seit Jahrhunderten Erfahrung mit Ein- und Auswanderung haben. Wir wissen wie es geht.
    •    Deutschland als Heimat der Religionsfreiheit! Weil wir Regeln haben, die es Menschen erlauben, sich mit ihrer Religion und Weltanschauung frei zu entfalten.
Das ist eine Heimat, in der wir alle zuhause sind.

Wir Menschen mit transnationalen Erfahrungen könnten dabei der Schlüssel sein. Wir
könnten eine Brücke zwischen den Alten und den Neuen bilden.
Man muss nur mit uns reden, und uns einbeziehen. So, wie es beim Nationalen
Integrationsgipfel seit zehn Jahren passiert.


Vielen Dank.