neue deutsche organisationen ziehen nach anderthalb Jahren Ampel-Koalition Bilanz: Wesentliche Reform-Versprechen wurden nicht eingehalten.

Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP versprach weitreichende Reformen in essentiellen Bereichen postmigrantischer Themen. Mit der Sommerpause sind wichtige Themen liegen geblieben: ein Entwurf zur AGG-Reform gibt es noch immer nicht, das Demokratiefördergesetz wurde nicht vor der Pause verabschiedet. Die Verschärfungen im Entwurf zum Staatsangehörigkeitsrecht wie auch die Zustimmung des BMI zur GEAS-Reform deuten nicht nur auf besorgniserregende Entwicklungen hin, sondern widersprechen den Abmachungen im Koalitionsvertrag. Die ndo fordern die Regierung dazu auf, die im Koalitionsvertrag versprochenen Reformen, die gerade die Lebensrealitäten marginalisierter Gruppen betreffen, zügig umzusetzen.

Als Mitglied des Bündnisses „Pass(t) uns allen“ begrüßen die ndo den Referent*innenentwurf zum modernen Staatsangehörigkeitsrecht. Die Mehrfachstaatsangehörigkeit ist ein wichtiger Pfeiler einer Einwanderungsgesellschaft. Allerdings sind nach wie vor Einbürgerungshürden vorhanden: Wie die gemeinsame Stellungnahme hinweist, bergen Kriterien wie „besondere Integrationsleistungen“ oder das von der FDP eingebrachte Erfordernis eines Nachweises der Lebensunterhaltssicherung, u.a. die Gefahr willkürlicher Praxis und des Ausschlusses marginalisierter Menschen. Armut, Wohnungslosigkeit, Arbeitsplatzverlust, Krankheit, Ausbildung, u.a. dürfen nicht zum Ausschluss vom Einbürgerungsanspruch führen.        

Im Koalitionsvertrag versprach die Ampelregierung das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu reformieren und bestehende Lücken sowohl im Schutz-, als auch im Anwendungsbereich zu schließen[1]. Nach 16 Jahren ist es höchste Zeit für eine Reform. Für das Jahr 2022 verzeichnet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fast 9.000 Beratungsanfragen zu Diskriminierung. Ein Viertel der Diskriminierungsfälle wurde nicht vom AGG in seiner aktuellen Form erfasst. Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, hat kürzlich Vorschläge zur Reform des AGGvorgestellt und dem Bundesjustizministerium zur Verfügung gestellt. Ein Eckpunktepapier seitens des Bundesjustizministeriums steht jedoch weiterhin aus. Die Stellungnahme des Bündnisses „AGG Reform - Jetzt!“ bietet dafür wichtige Impulse. 

Mit großer Sorge beobachten die ndo den Rechtsruck in der Politik, wie auch in der Gesellschaft. Dabei gibt die Bundesregierung dem Druck von rechts weiter nach: jüngst durch ihre Zustimmung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Dies bedeutet eine Verschärfung des europäischen Asylrechts und Aushöhlung internationaler Menschenrechte auf Kosten schutzsuchender Menschen. Das Versprechen, das Leid an den EU-Außengrenzen zu beenden[2], wird damit endgültig gebrochen.  "Die Pläne für eine neue europäische Krisenverordnung zu Flucht und Asyl sind ein Skandal. Rechtsgerichtete Regierungen wie Ungarn drängen auf die drastische Einschränkung von Grundrechten für Flüchtende. Nicht genug, dass Schutzbedürftige auf der Flucht ertrinken – die Überlebenden sollen sofort inhaftiert werden, selbst Kinder. Deutschland darf auf keinen Fall zustimmen: Menschenrechte sind nicht verhandelbar – und dazu gehört auch das Recht auf Asyl.", sagt Sheila Mysorekar, Vorstandsvorsitzende der neuen deutschen organisationen. Wir fordern deutsche EU-Politiker*innen auf, sich dieser Aushebelung des Schutzes für Geflüchtete konsequent entgegenzusetzen.

Angesichts dessen, dass nun AfD-Politiker auf kommunaler Ebene  politische Ämter bekleiden, muss die Bundesregierung handeln. Im Kampf gegen Rechtsextremismus ist eine gut aufgestellte Zivilgesellschaft essentiell. Dafür gehört das Demokratiefördergesetz zu den wichtigsten Versprechen der Ampelkoalition: damit würde der relativ prekären Finanzierung von Organisationen im Bereich Demokratiebildung und -förderung entgegengesteuert und Planungssicherheit und langfristige Förderung gesichert. Damit könnte effektive Demokratiearbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen nachhaltiger gewährleistet werden.  Allerdings blockiert die FDP das Demokratiefördergesetz auf den letzten Schritten: so wie die Union während der letzten Legislaturperiode, fordern sie eine Extremismusklausel. Es stellt sich die Frage, ob die Koalitionspartei die Bekämpfung von Rechtsextremismus ernst meint, denn gerade hierfür braucht es gut geförderte, nachhaltige Demokratieförderung und -bildung. 

Die Lösung für die Krisen unserer Zeit liegt weder in der Abschottung Deutschlands noch in dem Ausspielen der Interessen und Bedürfnisse marginalisierter Bevölkerungsgruppen gegeneinander noch in einem Rechtsruck. Wir fordern wirklich fortschrittliche Politik, die den Anforderungen an einer modernen Einwanderungsgesellschaft gerecht wird: durch einen ganzheitlichen Blick auf die vielfältigen Lebensrealitäten mehrfachmarginalisierter Menschen und mehr Gehör für (post-) migrantische Zivilgesellschaft.

 

Zu den ndo: Das postmigrantische Netzwerk “neue deutsche organisationen” ist ein Zusammenschluss von 195 Organisationen und Initiativen aus ganz Deutschland, die sich für Vielfalt und gegen Rassismus einsetzen. Die Geschäftsstelle der ndo wird gefördert durch die Stiftung Mercator.

Pressekontakt: medien@neue-deutsche-organisationen.de 

Die Pressemitteilung im PDF-Format finden sie hier.

 


[1] Bundesregierung, 24.11.2021, Mehr Fortschritt Wagen - Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S. 121: www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/koalitionsvertrag-2021-1990800

 

[2] Bundesregierung, 24.11.2021, Mehr Fortschritt Wagen - Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S. 141: www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/koalitionsvertrag-2021-1990800