Im Deutschen Bundestag wird derzeit ein Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen verhandelt, der das Staatsangehörigkeitsrecht verschärfen soll (zum Änderungsantrag). Seit Beginn der neunziger Jahre haben Ausländer, die in Deutschland leben, unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Einbürgerung. Zu diesen Voraussetzungen soll in wenigen Tagen – offenbar "ganz stillschweigend" – eine neue hinzugefügt werden, nämlich die "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse". Durch diesen willkürlichen Leitkultur-Paragraphen wird den Behörden ein Spielraum bei der Einbürgerung eingeräumt, der das Staatsangehörigkeitsrecht in die achtziger Jahre zurückkatapultiert. Bestimmte Gruppen von Deutschen werden zu Staatsangehörigen zweiter Klasse und zu Staatsbürger*innen auf Widerruf. Insbesondere soll den Behörden bis zu zehn Jahre eine Rücknahme der Einbürgerung ermöglicht werden (bisher fünf), wenn Deutsche im Einbürgerungsverfahren fehlerhafte Angaben gemacht haben - sogar dann, wenn das zur Staatenlosigkeit führt. Und künftig sollen sich nur noch Menschen einbürgern lassen können, die einen lückenlosen Nachweis über ihre Identität führen können, ohne dass hier eine Härtefallregelung vorgesehen ist. Das bedeutet, dass viele Geflüchtete auf absehbare Zeit keine Staatsbürger*innen werden können.
Die Anhörung im Bundestags-Innenausschuss hierzu findet am 24. Juni 2019 statt.Eine Verabschiedung ist noch in der gleichen Woche vorgesehen.
Wir kritisieren:
Wir fordern die Bundestagsabgeordneten daher auf, dem Regelungspaket nicht zuzustimmen!
I. Zum rechtlichen Hintergrund
Als Reaktion auf deutsche IS-Kämpfer in Syrien hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der einen - automatischen - Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für den Fall einer „Beteiligung an Kampfhandlungen einer Terrormiliz“ vorsieht. [1]
Bei den Verhandlungen dieses Entwurfs in der Bundesregierung konnte das Bundesjustizministerium [2] weitergehende Änderungsvorschläge des Bundesinnenministerium [3] zum Staatsangehörigkeitsrecht noch stoppen. Insbesondere ein Einfügen einer neuen unbestimmten Voraussetzung für die Anspruchseinbürgerung („Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet ist“) konnte abgewehrt werden – allerdings nur mit der Zusage, im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine neue spezifische Einbürgerungsvoraussetzung aufzunehmen, die Einbürgerungen von Personen ausschließen soll, die Doppelehen führen. [4]
Im Rahmen des Migrationspakets brachten die Koalitionsfraktionen dennoch einen Antrag[5] ein, der das Merkmal „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ zur Voraussetzung machen will. Zusätzlich soll nach diesem Antrag bei Eingebürgerten, die im Einbürgerungsverfahren fehlerhafte Angaben gemacht haben, den Behörden eine Rücknahme bis zu zehn Jahren (bisher fünf) nach der Einbürgerung ermöglicht werden; dies sogar dann, wenn das zur Staatenlosigkeit führt. Darüber hinaus soll eine Einbürgerung nur noch möglich sein, wenn „die Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind“.
II. Zur Kritik
Die Gesetzesvorschläge brechen mit wesentlichen Punkten des Konsenses, der sich in der Diskussion um die Staatsangehörigkeit seit den 1980 entwickelt haben. Sie stellen die Grundfunktion der deutschen Staatsangehörigkeit in Frage und entwerten den Einbürgerungsanspruch so weitgehend, dass noch nicht einmal mehr das Niveau von Anfang der 1990er Jahre erreicht wird. Im Einzelnen:
1. Ein Konsens, der sich in Ende des letzten Jahrtausends im Staatsangehörigkeitsrecht entwickelt hat, lässt sich mit einer Aussage[6] der damaligen Ausländerbeauftragten der Bundesregierung aus dem Jahre 1993 beschreiben:
„Völkischer Nationalismus hat in der Bundesrepublik der Gegenwart natürlich überhaupt keinen Platz. Trotzdem tun wir uns so schwer, deutsche Staatsangehörige ausländischer Herkunft als echte Deutsche anzuerkennen. … Es kommt darauf an, ob wir die Staatsangehörigkeit als ein Band betrachten, das uns in der Gemeinschaft vereinigt, oder als ein Band, das andere Leute ausgrenzt.“
Staatsangehörigkeit soll alle Staatsangehörigen in Gleichberechtigung verbinden. Diesem Gedanken widerspricht es elementar, wenn ein Teil der Bevölkerung (Doppelstaatsangehörige) diesen Status unter bestimmten Bedingungen wieder verlieren kann. Bleibt die Staatsangehörigkeit nach der Einbürgerung – für immer längere Zeiträume[7] – ungewiss, ist ein gleichberechtigtes Zusammenleben im dauernden Band der gemeinsamen Staatsangehörigkeit in Frage gestellt.
Unerwünschtes Handeln kann ein Staat z.B. strafrechtlich (vgl. §§ 129a, 129b STGB) sanktionieren. Die Staatsangehörigkeit verbindet hingegen im Grundsatz dauerhaft. Es ist also im Ansatz verfehlt, wenn ein Staat die Staatsangehörigkeit bei bestimmten Personengruppen, die sich fehlerhaft verhalten haben, in immer weiterem Rahmen entzieht. Hier sind andere Sanktionen gefragt, aber nicht das Staatsangehörigkeitsrecht. Gegen den Verlust der Staatsangehörigkeit als Sanktionsmittel sind daher zu Recht bereits rechtliche und rechtspolitische[8] Bedenken vorgetragen worden.
2. Den schärfsten Bruch mit den Fortschritten im Staatsangehörigkeitsrecht seit Beginn der 1990er Jahre stellt die geplante neue Voraussetzung für die Anspruchseinbürgerung dar: die „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“. SPD, FDP und Grüne setzten damals gegen eine in Teilen zögerliche Union nicht nur das Element des ius soli durch (Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland), ein wesentlicher Bestandteil aller Reformbemühungen war von Anfang an die Verankerung klarer Rechtsansprüche auf Einbürgerung[9]. Nur mit einem klaren Rechtsanspruch lässt sich sicherstellen, dass den Erfordernissen eines Einbürgerungslandes Rechnung getragen werden kann. Denn das Demokratiegebot fordert, dass die Zugewanderten nicht dauerhaft von gleichberechtigter politsicher Mitwirkung ausgeschlossen bleiben. Die Vorstellung, die Einbürgerung verlange eine „Hinwendung zu Deutschland“[10] und ein Aufgeben der bisherigen Kultur, wurde explizit abgelehnt.[11] Mit anderen Worten: Eine Hinwendung zu einer deutschen Leitkultur kann nach den damals verankerten Einbürgerungsansprüchen bis heutige nicht verlangt werden.
Mit dem extrem unbestimmten Merkmal der „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ könnten nunmehr – weit jenseits der Diskussion um den Ausgangsfall Mehrehe – derartige „kulturelle“ Aspekte wieder erfassbar sein. Dass dies beabsichtigt oder zumindest machbar sein könnte, erkennt man daran, dass alle anderen sachlichen Kriterien, die man jenseits des Mehr-Ehen-Falls mit diesem Merkmal erfassen könnte[12], nach heutigem Stand ohnehin gesetzliche Voraussetzung sind (Aufenthaltszeit, Deutschkenntnisse etc., siehe § 10 StAG). Noch deutlicher wird dies, wenn man sich vor Augen hält, dass die Einbürgerungsrichtlinien[13] von 1987 das Kriterium „Hinwendung zu Deutschland“ (also die damalige Generalklausel zur Leitkultur) dem Begriff der „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ zuordneten. Es besteht daher eine hohe Gefahr, dass über die Voraussetzung der „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ dem Anspruch in § 12 StAG letztlich jede Kontur verloren gehen könnte und der Einbürgerungsanspruch der Rechtslage von 1987 angenähert wird.
3. Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich ein „Nebenschaden“ des von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Antragspakets. Sicher kann der Staat im Normalfall eine Klärung der Identität einer Person verlangen. Flüchtlinge sind jedoch nicht der Normalfall. Sie können zum Verfolgerstaat nicht Kontakt aufnehmen, um Unterlagen zur Klärung ihrer Identität einzubringen. Auch in Bürgerkriegssituationen ist das oft unmöglich. Speziell für anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist deshalb völlig zu Recht gefolgert worden, dass auch im Einbürgerungsverfahren derartige Schwierigkeiten berücksichtigt werden sollen.[14] Der Regelungspunkt steht daher in einem Spannungsverhältnis zur GFK.
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[1] BT-DRs. 19/9736: mit der zusätzlichen Voraussetzung, dass keine Staatenlosigkeit eintritt; also wirksam nur für Doppel-Staatsangehörige.
[2] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.
[3] Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.
[4] AFP 071534 vom 7.5.2019 um 15:37; einen Vorschlag, der diese Vereinbarung inhaltlich spezifisch aufgreift, enthält die Stellungnahme des Bundesrates auf BR-Drs. 154/19: „nicht mit mehr als einer Person verheiratet ist“.
[5] Innenausschuss, A-Drs. 19(4)292; dort ist auch eingebracht ein in diesem Punkt ähnlicher Antrag der FDP-Fraktion, A-Drs. 19(4)311.
[6] Protokoll der 189. Sitzung des Bundestages, 11. November 1993.
[7] Man darf – wird nicht jetzt eine klare Grenze gezogen - für die Zukunft sicher sein: Tritt der erste Fall nach 10 Jahren und einem Tag auf, so wird sicher in Zukunft über eine Verlängerung der Frist diskutiert werden.
[8] Auch europarechtliche, siehe: DIfM, Stellungnahme v. Juni 2019 (A.DRs. 19(4)309); Stellungnahme des DAV Nr. 17/2019 vom Mai 2019; Interview von Janisch mit Astrid Wallrabenstein in SZ vom 6.3.2019: „Ein gefährlicher Schritt“
[9] Siehe bereits BT-Drs. 11/4268 und ferner 12/5684, 12/4533; vgl. auch die Darstellung bei Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 2. A., § 85 AuslG, R. 1 ff.
[10] Siehe 3.1. der Einbürgerungsrichtlinien i.d.F. vom 20.1.1987, abgedruckt z.B. bei Hailbronner/Renner, Fßn. 9.
[11] Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 2. A., § 85 AuslG, R. 7 ff
[12] Vgl. zum Merkmal Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse in § 9 StAG: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, Rn. 17 f.
[13] Fußnote 11, dort unter 3.2.3.2.
[14] 8.1.3.1. StAR-VwV: „Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Urkunden sollen berücksichtigt werden.“ GFK (siehe dort Art. 25 Abs. 2 und Art. 34)